Wie geheime Absprachen in den türkischen Medien die Krise des Landes verschärfen
Von Andrew Finkel
Der blutig gescheiterte Militärputsch in der Türkei am 15. Juli 2016 und die schonungslose Repression, die auf ihn folgte, zeugen von einer sich zuspitzenden Demokratiekrise in dem Land. Die Krise hatte sich über viele Jahre hinweg abgezeichnet: Die Regierung stellte Eliteninteressen über den Aufbau einer freien und offenen Gesellschaft und setzte Journalisten und unabhängige Medien mithilfe von Gesetzen intensiv unter Druck. Die jüngsten Ereignisse weisen jedoch auf zusätzliche, schwerwiegende Gefahren hin: Die Zustimmung und sogar Beihilfe der etablierten Medien in der Türkei zu ihrer eigenen Entmündigung sowie die Unterdrückung objektiver Berichterstattung.
Meine eigene, mehr als 25-jährige Erfahrung als Journalist, sowohl in der türkischsprachigen als auch in der internationalen Presse, hat mich von der Wichtigkeit und zugleich von der Unzulänglichkeit des Naming-and-Shaming („Benennen und Beschämen”) autoritärer staatlicher Maßnahmen überzeugt. Nachdem ich vor einem türkischen Gericht gestanden hatte, weil ich Kolumnen geschrieben hatte, welche der Regierung missfielen, wurde mir klar, dass es notwendig war, auch die Korruption innerhalb der türkischen Medien wahrzunehmen. Unter anderem veröffentlichen türkische Medien wissentlich Propaganda, halten Nachrichten zurück oder berichten nicht vollständig und objektiv über sie, wenn die Regierung sie nicht gutheißt.
Trotz der Verbreitung der sozialen Medien kontrolliert die erstarkte türkische Regierungspartei die öffentliche Debatte heute umfassender als je zuvor, indem sie im Privatbesitz stehende Medien systematisch kontrolliert und so die pluralistische Presse verdrängt. Auch frühere türkische Regierungen setzten sich immer wieder über internationale Medienstandards hinweg, doch das derzeitige Regime tut dies straflos und innerhalb seiner eigenen Definition demokratischer Normen. Für Journalisten steht nicht nur zur Debatte, wie die Medien auf diese repressiven Taktiken reagieren sollten, sondern auch, wie sie Problemen in den eigenen Reihen begegnen sollten.
Zu meiner ersten Konfrontation mit den türkischen Behörden kam es im Jahr 1999 aufgrund von Kolumnen in einer türkischsprachigen Zeitung, die das Vorgehen der Armee in den mehrheitlich von Kurden bewohnten Gebieten kritisierten. Die Staatsanwaltschaft behauptete, die Artikel demütigten das türkische Militär, eine Straftat, die damals mit bis zu sechs Jahren Haft geahndet werden konnte.
Daraufhin sandte CPJ einen öffentlichen Brief zu meinen Gunsten an den türkischen Premierminister. Doch mit derselben Undankbarkeit, für die Journalisten allzu oft anfällig sind, ging ich dazu über, CPJ mit Verweis auf deren eigene Website zu kritisieren. Ziel meiner Kritik wer der – in meinen Augen – von Grund auf kurzsichtige Ansatz, den die Organisation verfolgte und meiner Ansicht nach auch mit anderen Organisationen zum Schutz der Pressefreiheit teilte.
Ich war dankbar dafür, dass mein Fall publik gemacht wurde, doch ich hatte auch das Gefühl, dass türkische Journalisten so lange in Gefahr bleiben würden, solange die tief verwurzelten Ursachen für ihre schlechte Behandlung nicht angegangen würden: Die Korruption und geheimen Machenschaften innerhalb der Medien selbst. Die Zeitung, die mich wenige Monate zuvor entlassen hatte – wie ich später erfuhr aufgrund einer Eilanordnung des vom Militär geleiteten Nationalen Sicherheitsrats – berichtete nicht einmal über das Gerichtsverfahren oder einen der zahlreichen ähnlichen Prozesse. Unter den Beschäftigten der türkischen Presse war es ein offenes Geheimnis, dass man als Journalist genauso viel Schutz vor der eigenen Zeitung benötigte wie vor der Justiz.
Seitdem haben sich die Bedingungen erheblich verschlechtert, sowohl was die Härte des Vorgehens der Regierung angeht, als auch die Geheimabsprachen innerhalb der etablierten Medien. Zum Vergleich: Anfang 1999 saßen 27 Journalisten in türkischen Gefängnissen. Dies brachte Ankara den berüchtigten Titel des weltweit führenden Kerkermeisters für Journalisten ein, ein Titel, den die Türkei seitdem immer wieder für sich beansprucht hat.
Während der Ära der instabilen Koalitionsregierungen spielten die immer einflussreicheren Medien die Rolle des Königsmachers. Pressebarone offerierten ihre Unterstützung im Tausch gegen Privatisierungsausschreibungen, lukrative Flächenumwidmungen, Einnahmen aus regierungsnaher Werbung sowie Banklizenzen – der profitabelsten Option in einem Jahrzehnt chronischer Inflation. Um ihren Einfluss auf Politiker zu erhalten, behielten die Zeitungen dennoch eine kritische, nicht-anbiedernde Schärfe bei – schließlich kann niemand seine Einflussnahme feilbieten, wenn er sich den nötigen Einfluss und die nötige Durchsetzungsfähigkeit nicht zunächst verschafft. Viele waren jedoch nur allzu gerne bereit, für die Geheimdienste Artikel zu platzieren, die Berichterstattung über den oft schmutzigen Krieg gegen kurdische Separatisten im Südosten des Landes einzuschränken oder über die Entlassung leitender Kolumnisten oder Korrespondenten Stillschweigen zu wahren.
Diese Dynamik hat sich seitdem immer stärker ausgeprägt. Bei Reaktionsschluss saßen laut der Zahlen der unabhängigen Journalisten-Plattform P24 bis zu 146 türkische Journalisten hinter Gittern, mehr als viermal so viele wie 1999. Diese Zahlen schließen auch die 33 Journalisten ein, die schon vor dem Putschversuch am 15. Juli inhaftiert gewesen waren. Viele andere Journalisten sind ins Ausland geflohen. In einigen Fällen wurden ihren zurückgelassenen Ehepartnern und Verwandten Reisepässe verweigert. Andere Organisationen kommen zu geringfügig abweichenden Gesamtzahlen (CPJ konnte im letzten prison census 81 Fälle bestätigen, in denen Journalisten im Zusammenhang mit ihrer Arbeit inhaftiert wurden). Obwohl es schwierig ist, die Zahlen zu präzisieren, ist eines klar: Die Türkei ist der führende Kerkermeister für Journalisten und hat mehr Journalisten inhaftiert als die Gewohnheitstäter China, Iran und Ägypten zusammen.
Viele der Verhaftungen und Inhaftierungen erfolgten nach dem Putschversuch am 15. Juli und der anschließenden Verhängung des landesweiten Ausnahmezustands, der es den Behörden erlaubte, das Habeas-Corpus-Prinzip und die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention für 30 Tage aufzuheben.
Auf den ersten Blick mag dieses harte Vorgehen tatsächlich wie ein – plumper – Versuch erscheinen, jede Person zu bestrafen, die Verbindungen zu Fethullah Gülen hat. Der im Exil lebende Kleriker und Gründer der sogenannten Gülen-Bewegung (auch Hizmet, türkisch für „Dienst”) wird von der Regierung beschuldigt, der Drahtzieher des Putsches zu sein.
Journalisten waren nicht die einzigen, die nach dem gescheiterten Putsch zu leiden hatten. Reuters berichtete, dass sich drei Monate später noch immer mehr als 32.000 Menschen in Haft befanden (bis Dezember 2016 war diese Zahl laut Reuters auf 41.000 angestiegen) und mehr als 100.000 Staatsbedienstete ihren Arbeitsplatz verloren hatten. Es kam zu einer pauschalen Säuberung bei Justiz, Universitäten und Schulen, Armee, Polizei, den nationalen Geheimdiensten und im öffentlichen Dienst. Betriebe wurden beschlagnahmt und sogar Krankenhäuser geschlossen.
Die Kriterien, nach denen diese Maßnahmen verfügt wurden, sind nicht transparent, die Vorgehensweise bei den Säuberungen war unberechenbar. Schon der Besitz einer Kreditkarte der Asya-Bank, eines gülennahen Finanzinstituts, oder ein Abonnement von Zaman, der wichtigsten gülenistischen Zeitung, reichte aus für Entlassungen oder eine Ingewahrsamnahme durch die Polizei.
In diesem Umfeld ist es nicht mehr möglich, lediglich die unabhängigen Nachrichtenmedien zu beschuldigen, sie hätten ihre Mitarbeiter als Sündenböcke vorgeschoben. Denn nach Angaben von Platform 24 (P24), die sich auf öffentlich zugängliche Quellen stützen, wurden nach dem gescheiterten Putsch 46 Zeitungen, 29 Fernsehsender, 3 Nachrichtenagenturen, 31 Radiosender, 16 Magazine und 28 Verlagshäuser geschlossen. Die Mehrzahl der betroffenen Einrichtungen gehörte nicht zu den etablierten Medien, etwa Zarok TV, ein kurdischsprachiger Zeichentricksender für Kinder. Tausende Medienschaffende verloren ihren Arbeitsplatz. Da die Regierung die etablierten Medien fest unter ihrer Kontrolle hat, fällt es ihr relativ leicht, die „unabhängigen Nachzügler” einen nach dem anderen ins Visier zu nehmen.
Der offene Krieg gegen die Gülen-Bewegung reicht in die Zeit vor dem Putschversuch zurück. Im Dezember des Jahres 2013 beschuldigten Polizei und Staatsanwaltschaft ranghohe Regierungsmitglieder und ihre Familien der Korruption auf höchster Ebene. Damals bezeichnete die Regierung die darauf folgenden Polizeirazzien als Putschversuch, der vermeintlich bewies, dass Gülen-Anhänger in den Reihen der Bürokratie versuchten, einen Staat im Staate zu etablieren. Zaman, einst die auflagenstärkste Tageszeitung der Türkei und entschiedene Befürworterin der Vorgängerregierungen, wurde im März 2016 einer richterlich ernannten Verwaltung unterstellt und anschießend zu einer regierungstreuen Zeitung umgebaut, bevor sie im darauffolgenden Juli gänzlich eingestellt wurde. Andere Publikationen und Rundfunkunternehmen mit Verbindungen zur Gülen-Bewegung ereilten ähnliche Schicksale. Die Regierung ging zu der vom Militär eingeführten Praxis über, unerwünschten Medien, insbesondere jenen mit Verbindungen zur Gülen-Bewegung, den Zugang zu Pressekonferenzen zu verweigern.
Dieses Vorgehen wurde nach dem Putsch beschleunigt. Wie CPJ im August 2016 berichtete, entzog die Generaldirektion für Presse, Rundfunk und Information, die für die Akkreditierung von Journalisten zuständige Stelle im Büro des Premierministers, 115 Journalisten, denen sie Verbindungen zu Gülen vorwarf, den Presseausweis.
Gleich wie komplex die Verwicklung der Gülen-Bewegung in den Putschversuch vom 15. Juni auch war, hat jede rechtmäßig gewählte Regierung nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sich gegen eine Machtübernahme durch das Militär zu verteidigen. Ein Erfolg des Putschversuches oder ein längeres Fortdauern der Scharmützel zwischen Militär und Regierungsanhängern hätten wahrscheinlich deutlich mehr Todesopfern gefordert. In den Stunden nach dem Putsch starben rund 240 Menschen, darunter etwa 157 Zivilisten, unter anderem ein Reporter einer regierungsnahen Zeitung.
In den Wochen nach der Ausrufung des Ausnahmezustands wurde jedoch klar, dass die Behörden ihre Fahndung deutlich über den Kreis der Personen mit Verbindungen zu gülennahen Medien hinaus ausdehnten. Viele Menschen, die zufällig bei diesen Medienkanälen arbeiteten, kann nicht glaubwürdig vorgeworfen werden, mit der Gülen-Bewegung sympathisiert oder gar den Staatsstreich unterstützt zu haben. Obwohl kurdische Publikationen im Allgemeinen konträr zu Gülen positioniert sind, inhaftierte die Polizei nach einer Razzia bei Azadiya Welat 28 Journalisten. Özgür Gündem, eine andere pro-kurdische Zeitung, wurde geschlossen. Gegen eine Reihe prominenter Journalisten und Schriftsteller wurden Gerichtsverfahren eingeleitet, nachdem sie aus Solidarität für einen Tag als „Ehrenredakteure” aufgetreten waren. Zwei Journalisten der linksgerichteten Zeitung Evrensel wurden ebenfalls inhaftiert, allerdings nach 16 Tagen wieder auf freigelassen.
Die Organisation Freedom House wies in ihrem Jahresbericht 2014 auf diese Welle von Verhaftungen und Betriebsschließungen hin und schlussfolgerte, dass sich der bestehende Trend zur Unterdrückung von Kritikern weiter intensiviere. In dem Bericht wurde die Lage der türkischen Presse zudem von „teilweise frei” auf „unfrei” heruntergestuft.
Diese Zurückstufung begründete Freedom House unter anderem mit den pauschalen Entlassungen von Journalisten nach den Gezi-Park-Protesten im Jahr 2013, welche die Regierung damals ebenfalls als Putschversuch bezeichnet hatte. Eine lange Liste von Einzelberichten, insbesondere Aufzeichnungen von Telefongesprächen, die Anfang 2014 ins Internet gelangten, verdeutlicht, dass die Regierung darum bemüht ist, die Berichterstattung der ihr verbundenen Privatmedien bis ins kleinste Detail zu kontrollieren. Tayyip Erdoğan, damals Premierminister, bringt in den geleakten Aufzeichnungen den Eigentümer eines Zeitungsunternehmens zum Weinen, als er ihn zwingt, einen wichtigen Kolumnisten zu entlassen. Erdoğan forderte zudem einen Fernsehkanal auf, sein Laufband am unteren Bildschirmrand zu verändern, weil dieses dem Vorsitzenden einer Oppositionspartei zu viel Aufmerksamkeit widmete. Seit den Gezi-Protesten ist es immer üblicher geworden, dass sechs oder mehr regierungsnahe Zeitungen mit der exakt gleichen Schlagzeile in den Druck gehen.
Die Frage, die ich vor fast zwei Jahrzehnten aufgeworfen hatte, war, warum die türkische Öffentlichkeit Zeitungen verteidigen solle, denen die Ungerechtigkeiten gegen ihre eigenen Journalisten offenbar gleichgültig waren. Damals war es schwierig, einen Gesprächspartner zu der weltweit herrschenden Entrüstung zu finden. Der damalige Premierminister Bülent Ecevit war selbst Journalist und räumte unverhohlen ein, seiner Koalitionsregierung fehle die Macht, um mit autoritären Strukturen fertig zu werden, die tief im Staatsapparat verwurzelt seien.
Genau deshalb ist die zunehmende Korruption in den etablierten Medien so entscheidend, denn die Medien sind zu einem bereitwilligen Komplizen des neuen Autoritarismus geworden. Auch diese Eskalation hat ihre Wurzeln in einem althergebrachten Problem. Im Jahr 1997 fädelte das Militär erfolgreich Veränderungen in der Regierung ein, was auch als postmoderner Staatsstreich bezeichnet wird. Eines seiner Hauptinstrumente war es, Medieneigentümern und führenden Redakteuren einzubinden, die dem vom Militär geleiteten Nationalen Sicherheitsrat öffentlich ihre Dienste zusicherten, um die Koalitionsregierung unter der Führung der pro-islamischen Wohlfahrtpartei abzusetzen. Journalisten, die dieser Kooperation kritisch begegneten, wurden entlassen. Dass anschließend die Wohlfahrtspartei gerichtlich verboten wurde, war der direkte Grund für die Formierung und den Aufstieg der heute regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP). Die Rolle der Medien bei diesem „Putsch” hinterließ einen bitteren Nachgeschmack und veranlasste die AKP, als sie an die Macht gelangte, nationale Medien zu schaffen, die streng unter ihrer Kontrolle standen.
In den 1990er Jahren investierten die Muttergesellschaften der Medienunternehmen zunehmend in Banken und Finanzdienstleister. Die Medien profitierten von und beförderten einen Teufelskreis, in dem die Regierung immer höhere Zinsen zahlte, um ihre Kredite zu verlängern. Zwei Zins- und Währungskrisen in den Jahren 2000 und 2001 führten – mit nur einer Ausnahme – zum Zusammenbruch aller durch Medienkonzerne gehaltener Banken sowie zur Pfändung ihrer Zeitungshäuser und Fernsehkanäle im Zuge der Schuldentilgung. Die Kosten dieser Krise, rund ein Drittel des türkischen BIP, zerstörten eine ganze Nachkriegsgeneration von Politikern und bugsierten die AKP im Jahr 2002 an die Macht. Der Medienbesitz, welcher der öffentlichen Hand zugefallen war, wurde anschließend an Konzerte verkauft, die ihre Verbindungen zum neuen Regime kultiviert hatten.
Das aktuelle Muster bei der Eigentümerschaft der Medien ist jedoch nicht bloß eine Wiederholung der Geschichte. Bislang nutzen Medienbesitzer ihre Macht, um sich Zugang zu anderen Geschäftsfeldern zu verschaffen. Heute betrachten Bauunternehmer, Besitzer von Einkaufszentren sowie Pharma- oder Energiemagnate den Besitz von Medien als eine Art Gebühr, um Geschäfte mit der Regierung machen zu können. Manche zollen diesen Tribut widerwillig und unter bitteren Beschwerden. Das Ergebnis ist, dass der Großteil der türkischen Medienlandschaft von Eigentümern kontrolliert wird, die kein Interesse daran haben, der Regierung auf die Finger zu schauen. Statt den Mächtigen die Wahrheit zu sagen, geben sie die redaktionelle Kontrolle bereitwillig an politische Vorgesetzte ab. Erdoğan selbst gab offiziell zu, der Eigentümer der Zeitung Milliyet habe sich mit ihm darüber beraten, wen er zum Chefredakteur des Blattes ernennen solle. Als eines der wenigen großen Medienunternehmen, dem der Übergang in die AKP-Ära gelang, konnte die Doğan-Gruppe diesen erst vollziehen, nachdem ihr von ihrer Muttergesellschaft die Zähne gezogen wurden. Der Muttergesellschaft selbst droht wegen Steuervergehen eine Geldstrafe in Höhe ihres eigenen Marktwerts. Viele Mitarbeiter von Doğan teilten mir hinter vorgehaltener Hand mit, Selbstzensur sei heute nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Kürzlich gab es Treffen, bei denen der Präsident und wichtige Minister mit Herausgebern und leitenden Kolumnisten der regierungsfreundlichen Medien zusammentrafen. Diese privaten Unterredungen über die Berichterstattung der Medien werden offiziell bestätigt und unverblümt als „für die Presse geschlossen” beschrieben.
Den unabhängigen Medien in der Türkei sind beide Händen hinter dem Rücken gefesselt. Sie werden politisch und justiziell schikaniert und sind einem unlauteren Wettbewerb mit Rivalen ausgesetzt, die den Besitz von Medien als PR-Ausgabe betrachten, nicht als gewinnorientiertes Anliegen. Dies alles geschieht im Digitalzeitalter, in dem es eine immer größere Herausforderung ist, überhaupt noch Nachrichteninhalte zu verkaufen. Medienunternehmen haben keinen Anreiz, ein Geschäftsmodell zu verwerfen, das – wenn auch durch Korruption – funktioniert, und sich stattdessen in die eisigen Gewässer eines echten Wettbewerbs zu begeben.
Medienkanäle messen Anstand und Ansehen häufig keinen oder bestenfalls einen geringen Marktwert zu. Ein Großteil der regierungsnahen Presse in der Türkei fällt heute in die Kategorie der Propaganda. Polemische Schlagzeilen begleiten mittels Bildbearbeitung veränderte Realitäten. Um nur ein besonders irrsinniges Beispiel anzuführen: Henry Ries’ ikonisches Foto der Berliner Luftbrücke bebilderte einen Artikel, darüber, wie die USA Staatsstreiche in Guatemala und im Rest der Welt unterstützte. In ähnlicher Weise wurde ein Reporter des Christian Science Monitor, der zufällig den gleichen Namen trägt wie ein Mann in Kalifornien, der wegen Mordes an seiner schwangeren Frau verurteilt wurde, auf den Titelseiten als „bezahlter Attentäter” präsentiert, den die USA angeblich zur Unterstützung des Putsches in der Türkei eingekauft hatten.
Auch wenn es harmlos und absurd erscheinen mag, kann all dies nicht einfach abgetan werden. Die kruden Phantasiegeschichten gehen zu Lasten jener professionellen Berichterstattung, welche die Fragen der Bürger darüber beantworten könnte, was wirklich in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli 2016 passierte. Wenn ein Verfasser von Schlagzeilen Rachegelüste fördern oder von der Mitverantwortung der Regierung dafür ablenken will, dass sie den Putsch nicht kommen sah, dann unterhöhlt das die objektive Untersuchung der Auswirkungen der Säuberungen auf Schlüsselinstitutionen und -unternehmen. Statt in Fragen der Pressefreiheit ihre Solidarität zu zeigen, betrachten regierungsnahe Kolumnisten es offenbar als Teil ihrer Aufgabe, andere Journalisten mit stalineskem Eifer des Landesverrats zu beschuldigen und Staatsanwälte zu größtmöglicher Härte anzuhalten.
Die düstere Lage wirft viele Fragen auf. Die wohl interessanteste von ihnen lässt sich kaum angemessen beantworten: Warum versucht eine Regierung, die sich eines hohen Maßes an öffentlichem Rückhalt erfreut, dennoch oppositionelle Medien zu unterdrücken? Eine der unzähligen möglichen Erklärungen ist, dass die Regierung Macht als Nullsummenspiel betrachtet und glaubt, dass schon der geringste Kontrollverlust (wie im Juni 2016, als sie durch die Parlamentswahlen kurzzeitig ihre Mehrheit verlor) ihr gesamtes Herrschaftsgebäude zum Einsturz bringen könnte. Eine andere mögliche Erklärung ist, dass die Regierung Opfer einer Art von „Midas-Phänomen” ist, im Zuge dessen sie durch ihre Kontrolle der Medien gleichzeitig deren Fähigkeit zunichtemacht, glaubhafte Informationen zu kommunizieren.
In vielen Fällen dürften die Funktionäre der Regierung ihrer eigenen Propaganda tatsächlich selbst nicht glauben, doch sie verstehen, wie launisch die öffentliche Meinung sein kann. Folglich ist das Regime über die Effekte der sozialen Medien besorgt und sperrt beinahe systematisch den Zugang zu Twitter und Facebook, wenn ernste Nachrichten wie Bombenanschläge oder Putschversuche gemeldet werden. Erdoğan erklärte Twitter einst zum größten gesellschaftlichen Übel, vermutlich weil sich der Kurznachrichtendienst sich nicht leicht kontrollieren lässt.
Obwohl es lächerlich erscheinen mag, dass der AKP-Chef die Proteste von Umweltschützern im Gezi-Park als Putsch bezeichnet, könnte seine Angst rückblickend betrachtet real gewesen sein. Selbst paranoide Menschen haben manchmal reale Feinde, wie der Versuch der Putschisten, in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli die Fernsehkanäle an sich zu reißen, deutlich macht. Die große Ironie des Putschversuchs liegt darin, dass Erdoğan, während seine Widersacher sich an das vorsintflutliche Regelwerk hielten und den Staatssender TRT kaperten, seine Anhänger mit einem Interview über FaceTime mobilisierte, bei dem die Nachrichtensprecherin von CNN TÜRK ihr iPhone in die Kamera hielt.
In einer Zeit, in der Journalisten mithilfe des Ausnahmezustands in Polizeiwachen gezerrt werden, mag es geziert erscheinen, darauf hinzuweisen, wie gefährlich es ist, die Nachrichten abzuwerten und den öffentlichen Raum zu verengen. Ich verstehe nur zu gut, welchen Schwierigkeiten eine Organisation wie CPJ (die Schwerstarbeit leistet, um Journalisten vor ihren Regierungen zu schützen) begegnet, wenn sie versucht, den Spieß umzudrehen und auch die Medien selbst wegen ihrer Unterstützung undemokratischer Praktiken anzugreifen. Zu definieren, was ein „echter Journalist” ist, der Schutz verdient, ist schon allein ein heikles Unterfangen. Eine Strategie zu entwickeln, um jene zu benennen und bloßzustellen, die den Journalismus missbrauchen, um andere zu bedrohen, oder gar zu definieren, wer „echte Nachrichten” verbreitet, wirkt daneben wie die Öffnung der Büchse der Pandora.
Gleichwohl macht die immer düsterere Lage der türkischen Presse deutlich, dass die etablierte Strategie privater Lobbyarbeit und öffentlicher Entrüstung keine Ergebnisse geliefert hat. Ein erster, tastender Schritt war der Bericht von Freedom House, der die allmähliche Auflösung der Demokratie in der Türkei nach 2013 auch mit Blick auf die Korruption innerhalb der Medien selbst untersucht. Den Ausgangspunkt sollte allerdings immer dieses Argument bilden: Es ist unmöglich, Journalisten vollständig zu schützen, wenn die innersten Grundsätze des Journalismus selbst in Gefahr sind.
Andrew Finkel arbeitet als Korrespondent in Istanbul. Er ist einer der Gründer von P24 (Punto24, ein Verein zur Schutz des unabhängigen Journalismus in der Türkei) und Autor von „Turkey: What Everyone Needs to Know”.